Reizdarm
Reizdarm (Reizdarmsyndrom, RDS, Irritable Bowel Syndrome, Reizkolon, Colon irritabile oder früher auch spastisches Kolon genannt): Häufige funktionelle Darmstörung ohne erkennbare organische Ursache, die sich vor allem bei 20- bis 40-Jährigen bemerkbar macht. Die neueste Forschung deutet darauf hin, dass die Ursache für das Reizdarmsyndrom Entzündungen sind. Die Schleimhaut von Reizdarmpatienten bildet demnach verstärkt die Nervenhormone Histamin und Serotonin. Dadurch werden permanent Nervenreize an das Gehirn weitergeleitet, was Entzündungsprozesse fördert.
Nach internationalen Richtlinien besteht ein Reizdarm, wenn innerhalb der letzten 12 Monate mindestens 12 Wochen lang, aber nicht unbedingt andauernd, Bauchschmerzen auftraten, die sich mit dem Stuhlgang besserten und/oder wenn der Beginn der Bauchschmerzen mit einer Veränderung der Stuhlkonsistenz und/oder der Stuhlhäufigkeit einherging. In Deutschland sind 15 % der Bevölkerung betroffen; jeder zweite Patient mit Magen-Darm-Beschwerden leidet an einem Reizdarm, Frauen doppelt so häufig wie Männer.
Auch wenn die Erkrankung medizinisch gesehen harmlos ist, können die Beschwerden die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Sind die auslösenden Faktoren bekannt und können weitgehend vermieden werden, ist eine Besserung möglich; eine Heilung ist aber nicht zu erwarten.
Leitbeschwerden
Zur Differenzialdiagnose des Reizdarms:
- Diffuse Bauchschmerzen
- Druckgefühl im Unterbauch sowie im rechten oder linken Oberbauch
- Völlegefühl, rumorende Darmgeräusche und Blähbauch
- Gehäufte (mehr als drei pro Tag) oder verminderte Stuhlentleerungen (weniger als drei pro Woche)
- Veränderte Stuhlbeschaffenheit (vor allem harter Stuhl, kleinere harte Kotsteine, Schleimauflagerungen)
- Gefühl der unvollständigen Darmentleerung.
Wann zum Arzt
In den nächsten Tagen, wenn immer wieder Schmerzen im Bauch auftreten.
Sofort, wenn quälende Bauchschmerzen und Fieber auftreten.
Die Erkrankung
Viele Menschen leiden ständig oder in kurzen Abständen unter einer Kombination verschiedener Darmstörungen, die nicht durch organische Veränderungen erklärbar sind und die der Arzt unter dem Begriff "Reizdarm" zusammenfasst. Dabei kommt es zu krampfartigen, ziehenden oder stechenden Schmerzen im gesamten Bauch sowie zu Druckgefühl im Unterbauch, häufig auch im rechten oder linken Oberbauch, die jedoch meist nicht in der Nacht auftreten. Weitere Beschwerden sind Blähungen, Verstopfung, Durchfall, auch können sich Verstopfung und Durchfall abwechseln. Der Stuhl ist entweder hart bzw. wird – wie bei Schafen – in kleinen harten Kotsteinen ausgeschieden. Er kann auch breiig bis flüssig sein, manchmal ist heller Schleim beigemengt. Bei einigen Betroffenen lassen die Beschwerden nach dem Stuhlgang nach, andere haben das Gefühl einer unvollständigen Darmentleerung.
Psychische Faktoren wie Stress oder Ärger können die Beschwerden verschlimmern. Auch scheinen Depressionen, Überforderung und die Unfähigkeit, Gefühle zu zeigen, bei der Entwicklung der Beschwerden von Bedeutung zu sein. Allerdings sollte beachtet werden, dass psychische Veränderungen vielfach auch Folge der unangenehmen Beschwerden sein können.
Bei Reizdarmpatienten müssen verschiedene körperlich bedingte funktionelle Veränderungen beachtet werden. So reagieren sie bereits auf eine Dehnung des Darms mit Schmerzen. Als Ursache hierfür vermuten Ärzte eine gestörte Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung im Gehirn. Darüber hinaus ist die Beweglichkeit des Darms entweder beschleunigt oder verzögert. In bis zu 25 % der Fälle ging der Entwicklung eines Reizdarms eine Darminfektion mit Durchfällen voraus. Außerdem besteht bei nahezu jedem Reizdarmpatienten eine Unverträglichkeit von Kohlenhydraten, am häufigsten sind (Milchzuckerunverträglichkeit) und Unverträglichkeit von Fruktose. Viele Betroffene vertragen auch andere Nahrungsbestandteile nicht; außerdem werden die Beschwerden durch Genuss von Kaffee, Zigaretten und Alkohol oft verschlimmert. Die Vermutung, dass die Besiedlung des Dickdarms mit Candidapilzen eine Ursache der Beschwerden ist, konnte nicht bestätigt werden.
Sondertext: Candida-Pilze: Die Wurzel von allerhand Übel?
Um ein erneutes Tumorwachstum oder Metastasen frühzeitig zu erkennen, gehört zum regelmäßigen Nachsorgeprogramm die Bestimmung des Tumormarkers CEA im Blut, Darmspiegelungen, Bauchultraschall (insbesondere der Leber), Röntgenuntersuchungen des Brustraums und gegebenfalls CTs.
Das macht der Arzt
Manche Ärzte können die Diagnose "Reizdarm" oft schon aufgrund des Beschwerdebildes stellen. In jedem Fall wird der Arzt andere ernste Krankheiten der Verdauungsorgane wie z. B. eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung oder Darmkrebs durch eine Tastuntersuchung des Enddarms, Stuhluntersuchungen, eine Darmspiegelung und eventuell mit anderen bildgebenden Verfahren (z. B. Bauchultraschall) ausschließen. In Einzelfällen sind weitere spezielle Untersuchungen erforderlich, wie ein Laktosetoleranz-Test bei Verdacht auf Milchzuckerunverträglichkeit. Wichtig ist, den Patienten, der oft eine schwere Krankheit als Ursache seiner Beschwerden befürchtet, über die Ungefährlichkeit der Symptome aufzuklären.
Bei leichten Schmerzen helfen Selbsthilfemaßnahmen, bei starken Schmerzen helfen Antidepressiva, die durch Erhöhung der Schmerzschwelle den Schmerz lindern. Die Wirksamkeit krampflösender Medikamente wie Butylscopolamin (Buscopan®) ist nicht belegt; im Einzelfall können sie aber hilfreich sein. Aufgrund ihrer zahlreichen Nebenwirkungen können sie jedoch nicht auf Dauer eingesetzt werden. Eine weitere Möglichkeit, die bei vielen Betroffenen allerdings keine Wirkung zeigt, ist die Einnahme entblähender Medikamente, wie z. B. Simeticon (SAB simplex®, Lefax®). Starke Abführmittel sollten wegen der Gewöhnungsgefahr grundsätzlich nicht eingesetzt werden und stopfende Medikamente, z. B. Loperamid (Imodium®) nur für kurze Dauer. Der aktuellste Forschungsstand legt zudem nahe, dass Reizdarmpatienten von einer Behandlung mit Antihistaminika profitieren.
Selbsthilfe
Die Grundempfehlung für die Selbsthilfe ist, herauszufinden, welche Lebenssituationen, Nahrungsmittel oder Verhaltensweisen Ihre Beschwerden verstärken, und diese künftig zu meiden.
Probiotika. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich die Darmflora von Menschen mit Reizdarm von der gesunder Personen unterscheidet: Einige Bakterienarten kommen seltener vor, andere häufiger. Probiotische Nahrungs- und Arzneimittel – sie enthalten z. B. Bifidobakterien oder Lactobazillus-Stämme – sollen die Darmflora wieder ins Gleichgewicht bringen und den Darm beruhigen.
Komplementärmedizin
Pflanzenheilkunde. Da die Stuhlkonsistenz oft wechselt, sollte nur dann ein entsprechendes Arzneimittel eingenommen werden, wenn das Leitsymptom akut über mehrere Tage hinweg besteht. Welche Mittel hier im Einzelnen infrage kommen, wird bei der Verstopfung und beim Durchfall beschrieben. Bei krampfartigen Schmerzen und Blähungen haben sich Kümmelöl oder Pfefferminzöl (z. B. kombiniert in Enteroplant® -Kapseln) bewährt. Die Wirkung von Pfefferminzöl und indischen Flohsamen gegen diese Beschwerden ist in einer klinischen Studie belegt. Flohsamen sind leichte pflanzliche Abführmittel, die auch Schmerzen lindern.
Homöopathie. Die Homöopathie empfiehlt eine individuell abgestimmte Konstitutionstherapie.
Akupunktur. Es liegt eine Reihe von Erfahrungsberichten vor, nach denen ein Reizdarm mithilfe der Akupunktur gelindert werden konnte; erste Studien scheinen dies zu bestätigen.
Weiterführende Informationen
- T. Schleip; G. Hoffbauer: Reizdarm. Was wirklich dahinter steckt. Gräfe & Unzer, 2001. Schulmedizinisch orientierter Ratgeber zum Thema Reizdarm, mit vorbildlicher Beschreibung der Erkrankung.
- W. Kruis; A. Iburg: Reizdarm – Endlich Ruhe im Bauch durch richtige Ernährung. Trias, 2004. Praxisorientierter, detaillierter Ratgeber mit vielen differenzierten Vorschlägen zu einer optimal angepassten Ernährung bei Reizdarmbeschwerden.