Nicht jede Beschwerde muss therapiert werden

Ist das Leben des Patienten bedroht, z. B. durch einen Blinddarmdurchbruch, besteht eine vitale oder absolute Indikation zur Therapie: Der Patient muss sich operieren lassen, sonst gefährdet er sein Leben. Nur bei solchen vitalen Indikationen darf der Arzt – und ersatzweise auch jeder Laie – ohne Einwilligung des Patienten helfen und eingreifen (z. B. bei einem Verkehrsunfall). Er muss es sogar tun, denn wenn der Patient ohnmächtig ist, muss davon ausgegangen werden, dass er der Hilfeleistung nicht widersprechen würde.

Die Einleitung einer Therapie gegen den erklärten Willen des Patienten ist bei psychischen Erkrankungen nicht unumstritten. Die meisten Ärzte empfinden es aber als Pflicht zu helfen. Und viele, denen zunächst gegen den eigenen Willen geholfen wurde (etwa bei Selbstmordabsicht), äußern später in ihrem Leben Dankbarkeit für das ärztliche Eingreifen.

Bei der Mehrzahl der Erkrankungen und Beschwerden ist die medizinische Notwendigkeit zur Therapie aber letztlich relativ. Zum einen können selbst einige akute Erkrankungen von selbst wieder ausheilen, zum anderen ist der im Raum stehende medizinische Eingriff oft nicht sehr Erfolg versprechend oder gar risikoreich. Bei einer solchen relativen Indikation gilt es daher, die Nebenwirkungen und die möglichen Behandlungsalternativen besonders sorgfältig abzuwägen.

Inwieweit Ärzte bei relativen Indikationen tatsächlich tätig werden, ist sehr von der Kultur abhängig. Während im christlichen Kulturkreis die Bereitschaft und die Geduld, Schmerzen und Leiden zumindest für einige Zeit hinzunehmen, lange Zeit stark verankert waren, hat sich dies in den letzten Jahrzehnten radikal gewandelt. Ärzte fühlen sich heute oft unter Druck gesetzt, „irgendetwas zu tun“. So ist eine Art medizinischer Aktionismus entstanden. Aber auch die ökonomischen Steuermechanismen in unserem Medizinsystem funktionieren am besten, wenn viel und rasch therapiert wird. Dass dies viele unnötige Eingriffe und Operationen mit sich bringt und zahlreiche Fälle von Medikamentenabhängigkeit erzeugt, ist bekannt. Immerhin, unterstützt durch die Bemühungen der evidenzbasierten Medizin, setzt ein Umdenken ein – denn die evidenzbasierte Medizin hinterfragt systematisch alles, was Ärzte (und andere Therapeuten) tun, und entlarvt dabei viele Eingriffe bis hin zu hunderttausendfach durchgeführten Operationen als nutzlos. [Y01]

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