Netzhautveränderungen bei Diabetes

Netzhautveränderungen bei Diabetes [mellitus] (diabetische Retinopathie): Chronische, durch Diabetes ausgelöste Durchblutungsstörung der Netzhaut mit Sehminderungen, Schatten-Sehen und Wahrnehmung von Lichtblitzen. Gefürchtete Folgen sind ein Makulaödem, eine entzündliche Aufquellung des gelben Flecks, eine Glaskörpereinblutung und eine Netzhautablösung. In den Industrieländern sind diabetische Netzhautveränderungen die häufigste Erblindungsursache ab dem 40. Lebensjahr. Wichtig ist die Früherkennung, um die Erblindung möglichst lange aufzuhalten.

Symptome und Leitbeschwerden

Einziges Frühsymptom:

  • Schwankende Sehschärfe im Tagesverlauf.

Alle erst im Spätstadium:

  • Verschlechterung des Sehvermögens
  • Sehen von Schatten, eines Vorhangs oder Balkens, der sich vor das Auge schiebt
  • Wahrnehmen von Lichtblitzen, Funkenschauer, Rußregen
  • Verzerrtsehen
  • Plötzliche Erblindung.

Wann zum Arzt

  • Spätestens beim Wahrnehmen eines der oben genannter Symptome sollten Diabetiker umgehend den Augenarzt aufsuchen.

Die Erkrankung

Krankheitsentstehung

Über 90 % der Patienten mit einem Diabetes Typ 1 und 60 % mit einem Diabetes Typ 2 entwickeln nach 20 Jahren Krankheitsdauer eine Schädigung der Netzhaut und ihrer Gefäße. Das bedeutet, dass Patienten mit einem im Jugendalter begonnenen Typ 1 Diabetes schon ab Mitte 30 mit der Entwicklung einer diabetischen Retinopathie rechnen müssen. Dies gilt umso mehr, wenn der Diabetes schlecht eingestellt ist. Ursache ist unter anderem ein verschobenes Gleichgewicht von Glukose, Blutfetten und Hormonen im Blut, was Ablagerungen an den Gefäßinnenwänden aller Arterien mit zahlreichen Folgen begünstigt.

Nichtproliferative diabetische Retinopathie. So verändern sich auch die Wände der kleinsten Netzhautgefäße (Kapillaren), es entstehen lokalisierte sackförmige Erweiterungen, sogenannte Mikroaneurysmen, und Gefäßverschlüsse. Die Mangelversorgung der Sehsinneszellen führt zu Mikroinfarkten der Nervenfaserschicht der Netzhaut. Die Kapillarwände werden zudem durchlässiger, so dass Flüssigkeit in das benachbarte Gewebe austritt. Im Bereich der Makula entsteht dann eine Schwellung (das sogenannte diabetische Makulaödem), die das Sehvermögen erheblich reduziert.

Proliferative diabetische Retinopathie. Um der Unterversorgung der Netzhaut entgegenzuwirken, setzt ein Reparaturmechanismus ein, es werden neue Gefäße gebildet. Diese neugebildeten Gefäße sind aber häufig schädlich. Zum einen wachsen sie auch in den Glaskörper ein – wo sie leicht einreißen. Auch sind die neuen Gefäße porös. Beides führt häufig zu kleinsten Einblutungen und Ödemen, wobei das Sehen sich weiter verschlechtert.

Komplikationen

Bei Gefäßneubildungen auf der Regenbogenhaut (Rubeosis iridis) besteht die Gefahr eines akuten Winkelblockglaukoms. Auch sind die neuen Gefäße brüchiger und neigen zu Blutungen, bei Glaskörpereinblutungen nimmt der Patient plötzlich auftretende "dunkle Wolken" im Blickfeld wahr. Schließlich vernarben die aus der Netzhaut in den Glaskörper einwachsenden Gefäße häufig, verkürzen sich und ziehen so die Netzhaut von ihrer Unterlage ab (zugbedingte Netzhautablösung). Unbehandelt droht die Erblindung.

Risikofaktoren

Besonders gefährdet sind Diabetiker mit Bluthochdruck, schlecht eingestellten Zuckerwerten sowie hohen Blutfettspiegeln. Bei Diabetikerinnen erhöht sich das Risiko für eine diabetische Retinopathie aufgrund von Hormonveränderungen zusätzlich in Pubertät und Schwangerschaft.

Diagnosesicherung

Der Augenarzt erkennt bei der Augenhintergrunduntersuchung die typischen Zeichen der diabetischen Retinopathie wie z. B.

  • sackartig erweiterte Gefäße
  • kleinste Blutungen
  • perlschnurartige Venen
  • Ablagerungen von Eiweiß
  • flüssigkeitsbedingte Schwellungen (Ödeme).

Besonders gut darstellen lassen sich die Gefäße mit der Fluoreszenzangiografie. Bei dieser Untersuchung injiziert der Arzt ein Kontrastmittel in die Armvene und kontrolliert danach die Verteilung des Farbstoffes im Augenhintergrund. Auf diese Weise lässt sich auch beurteilen, ob das arterielle Kapillarnetz um die Makula noch durchblutet ist. Außerdem ist die Fluoreszenzangiografie wichtig zur Planung der Lasertherapie.

Behandlung

Allgemeinmaßnahmen

Lebensstiländerungen können bei Hochrisikopatienten das Retinopathierisiko um bis zu 50 % reduzieren. Dazu gehören

  • Mehr Bewegung und Gewichtsnormalisierung,
  • Rauchentwöhnung,
  • Blutzuckerverbesserung und Blutdruckverbesserung
  • Senkung bzw. Normalisierung erhöhter Blutlipidwerte
  • Einführung einer Plättchenaggregationshemmung.

Diabetes-Behandlung

Grundlage einer möglichst langfristigen Erhaltung des Augenlichts ist die konsequente, lückenlose und "scharfe" Einstellung des Diabetes. Nur so ist ein hinreichender Behandlungserfolg zu erreichen.

Behandlung am Auge

Je nachdem, welcher Abschnitt der Netzhaut betroffen ist und wie ausgeprägt die krankhaften Veränderungen sind, stehen für die Behandlung des Auges Laserverfahren und Injektionen in den Glaskörper zur Verfügung.

Die proliferative Retinopathie behandeln die Ärzte mit dem Laser, und zwar mit einer sogenannten panretinalen Laserkoagulation (siehe unten). Liegt gleichzeitig ein Makulaödem vor, soll die Makula vor dieser panretinalen Laserkoagulation behandeln werden. Die Behandlungsweise des Makulaödems hängt davon ab, ob die Fovea, also die Stelle des schärfsten Sehens, betroffen ist.

  • Bei einer Foveabeteiligung kommen Glaskörperinjektionen mit monoklonalen Antikörpern oder Kortison zum Einsatz (siehe unten). In manchen Fällen sind Glaskörperinjektionen nicht möglich, z. B. wenn der Patient in einem schlechten Allgemeinzustand ist, die Injektionen ablehnt oder eine engmaschige Kontrolle nicht gewährleistet ist. Dann greifen die Ärzte zur fokalen Lasertherapie, die jedoch beim Makulaödem mit Foveabeteiligung weniger wirksam ist als die Injektion der monoklonalen Antikörper.
  • Bei einem Makulaödem ohne Foveabeteiligung ist die fokale Lasertherapie Mittel der Wahl. Allerdings raten die Ärzte bei sehr guter noch bestehender Sehschärfe häufig zunächst zum Abwarten unter engmaschiger augenärztlicher Kontrolle. Grund dafür ist, dass bei einem Lasereinsatz im Bereich der Makula ein Risiko besteht, auch die Fovea zu treffen und dadurch die Sehschärfe ungewollt zu beeinträchtigen.

Liegt eine nicht-proliferative Retinopathie ohne Makulaödem vor, empfehlen die Ärzte bei guter Sehschärfe häufig ebenfalls zunächst das Abwarten unter engmaschigen Kontrollen. Auch hier ist der Hintergrund, dass jeder Eingriff am Auge das Risiko einer Verschlechterung der Retinopathie birgt und deshalb die Ärzte lieber später als früher lasern. Bei fortschreitendem Sehverlust oder in Risikokonstellationen (Schwangerschaft, Bluthochdruck, deutlich sichtbare Gefäßverschlussgebieten in der Fluoreszenzangiografie) empfehlen Ärzte aber auch ohne Makulabeteiligung eine panretinale Laserkoagulation. Liegt bei der nicht-proliferativen Retinopathie ein Makulaödem vor, gelten die gleichen Behandlungsempfehlungen wie bei der proliferativen Retinopathie.

Glaskörperinjektionen

Für die Therapie des diabetischen Makulaödems stehen monatliche Injektionen mit monoklonalen Antikörpern zur Verfügung. Diese Antikörper binden an den Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Grothw Factor), der die Ausbildung von Gefäßen fördert. Antikörper wie Ranibizumab (Lucentis®) oder Aflibercept (Eylea®) hemmen die Wirkung von VEGF und bremsen die Gefäßneubildung. Zumindest in einem Gutteil der Fälle hält dies den Sehkraftverlust auf und verbessert sogar die Sehschärfe. Die monoklonalen Antikörper spritzt der Arzt nach lokaler Betäubung direkt in den Glaskörper. Diese Injektionen müssen regelmäßig wiederholt werden – entweder monatlich oder bedarfsabhängig, d. h. der Arzt entscheidet nach Kontrolle der Netzhaut, wann wieder eine Injektion notwendig ist. Die VEGF-Antikörper setzt man als Monotherapie oder auch in Kombination mit einer Laserfotokoagulation ein. Studien belegen, dass beide Varianten die Sehschärfe erhöhen (die Wirkung hält aber oft nicht lange an nach Absetzten der Spritzen). Vergleichbar in Wirksamkeit und Sicherheit, aber deutlich billiger als die beiden genannten Präparate ist der monoklonale Antikörper Bevacizumab (Avastin®). Er hat zwar "nur" eine Zulassung als Krebsmittel, kann aber bei diabetischem Makulaödem off label eingesetzt werden.

Führen die Injektionen mit den monoklonalen Antikörpern nicht zum Erfolg, ist alternativ auch die Eingabe von Kortison in den Glaskörper möglich. Wo genau Kortison bezüglich seiner Wirkstärke einzuordnen ist, wird noch diskutiert. Wichtig ist bei der Glaskörperinjektion mit Kortison die regelmäßige Kontrolle von Augeninnendruck und Linse, da es am Auge als unerwünschte Wirkung die Entstehung von Grauem Star und Grünen Star begünstigt.

Lasertherapie

Bei der Feststellung, ob eine Lasertherapie notwendig ist, hilft vor allem die Fluoreszenzangiografie weiter. Es gibt zwei Verfahren, die dafür in Frage kommen:

  • Eine proliferative Retinopathie behandeln Ärzte mit der Panretinalen Lasertherapie (siehe oben). Dabei wird die Netzhaut rasterartig vernarbt, ohne die Photorezeptoren und die Makula zu schädigen, wodurch die Neubildung krankhafter Gefäße verhindert wird.
  • Ein Makulaödem wird mit Hilfe der Fokalen Lasertherapie behandelt (siehe oben). Dabei verödet der Augenarzt gezielt einzelne Gefäßaussackungen und undichte Gefäße, die ein Makulaödem begünstigen.
  • Eine frühzeitige Lasertherapie kann das Auftreten von Komplikationen weitgehend verhindern.

Operative Behandlung

Bei andauernden Glaskörperblutungen oder drohender zugbedingter Netzhautablösung wird eine Vitrektomie durchgeführt.

Ihr Apotheker empfiehlt

Vorsorge

Für Diabetiker gilt: Nehmen Sie Ihre Erkrankung nicht auf die leichte Schulter, sondern sorgen Sie penibel für eine gute Einstellung des Blutzuckers. Regelmäßige augenärztliche Kontrollen sind für das rechtzeitige Erkennen sich anbahnender Augenschäden von entscheidender Bedeutung. Gehen Sie deshalb jährlich zum Augenarzt. Liegen bei Ihnen schon Netzhautveränderungen vor, sind engere Kontrollintervalle von 2–6 Monaten notwendig.

Wenn Sie Diabetikerin sind und Kinderwunsch haben, ist es besonders wichtig, die Blutzuckerwerte gut einzuhalten und den Augenhintergrund zu kontrollieren. Am besten schon vor einer Schwangerschaft und dann alle 3 Monate sollte ein Augenarzt Ihren Augenhintergrund prüfen, um evtl. Netzhautveränderungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Liegen bei Ihnen schon Anzeichen einer diabetischen Retinopathie vor, werden monatliche Kontrollen empfohlen.

Lassen Sie regelmäßig Ihre Blutfette und den Blutdruck prüfen. Bei erhöhten Werten gilt es auch hier, diese mit Hilfe Ihres Arztes konsequent einzustellen.

Leben Sie gefäßgesund: Verzichten Sie auf das Rauchen, treiben Sie regelmäßig moderaten Sport wie Schwimmen, Nordic Walking oder Fahrradfahren, ernähren Sie sich ausgewogen und vermeiden Sie unnötigen Stress. Die Kombination dieser Maßnahmen senkt das Retinopathie-Risiko bei Typ-2-Diabetikern mit erhöhter Eiweißausscheidung um über 50%!

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